Das OLG Hamburg entscheidet über Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Entscheidungen des Landgerichts Hamburg. Da Hamburg seit Jahrzehnten ein beliebter, wenn nicht sogar der beliebteste Standort für foto-, bild- und sonstige urheberrechtliche Auseinandersetzungen ist, kommt der Rechtsprechung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg (OLG Hamburg) eine ganz besondere Bedeutung zu. Da es in den Verfahren der einstweiligen Verfügung keine Revision zum BGH gibt und zahlreiche Verfügungsverfahren letztinstanzlich vor dem OLG Hamburg entschieden wurden, sind im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche bedeutsame fotorechtliche Entscheidungen durch das OLG Hamburg zu erwähnen, über die wir fortlaufend berichten werden.
Beim OLG Hamburg entscheidet nach dem derzeitigen Geschäftsverteilungsplan der 5. Zivilsenat über foto- und sonstige urheberrechtliche Streitigkeiten. Dieser ist zuständig für Streitigkeiten aus folgenden Rechtsgebieten einschließlich der Beschwerden im Zwangsvollstreckungsverfahren: Urheberrechtsschutz einschließlich Halbleiterschutz und einschließlich der Streitigkeiten wegen verspäteter Rückgabe, Beschädigung oder Verlust zur Auswahl für eine Auswertung oder zur Auswertung überlassener Werke im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG oder Lichtbilder im Sinne des § 72 UrhG, Verlagsrecht einschließlich Buchpreisbindung, Geschmacksmusterrecht und Designschutz, Streitigkeiten aus folgenden Gebieten des gewerblichen Rechtsschutzes einschließlich der Beschwerden im Zwangsvollstreckungsverfahren nach Maßgabe des internen Turnus gemäß Rdnr. 7: von Rdnr. 203 Ziff. 1 a) nicht erfasste Ansprüche aus dem Gesetz über den unlauteren Wettbewerb, von Rdnr. 203 Ziff. 1b) nicht erfasste Ansprüche aus dem Gebiet des Markenrechts, Berufungen und Beschwerden in Verfahren nach § 1 des Unterlassungsklagengesetzes (AGB-Sachen), soweit der Anspruch aus den Rechtsgebieten der Rdnr. 205 Ziffn. 1 und 2 hergeleitet wird.
Bereits vor der letzten Jahrtausendwende hat das OLG Hamburg ein wegweisendes Urteil gesprochen, mit welchem eine Abgrenzung von Lichtbildwerken und einfachen Lichtbildern thematisiert und zugleich die Schutzfristen urheberrechtlich geschützter Werke thematisiert worden waren. In diesem Urteil hat das OLG Hamburg ein Urteil des Landgerichts Hamburg „gedreht“ und die vom Antragsteller beantragte einstweilige Verfügung erlassen sowie die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen dem Antragsgegner auferlegt. Nachfolgend finden Sie das vollständige Urteil:
„Tenor
Auf die Berufung der Antragsteller wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 8, vom 22. Juli 1998 abgeändert, soweit der Verfügungsantrag zurückgewiesen worden ist, und außerdem im Kostenpunkt.
Der Antragsgegner wird weiter im Wege der einstweiligen Verfügung verurteilt, es bei Vermeidung der vom Landgericht genannten Ordnungsmittel zu unterlassen,
die folgenden in dem Buch von R S "Hinter Wahnfrieds Mauern -- G W. Ein Leben" abgebildeten Werke von W W zu vervielfältigen, zu verbreiten und/oder vervielfältigen und verbreiten zu lassen,
wobei die zum Zeitpunkt der Verkündung bereits ausgedruckten und aufgebundenen Exemplare des vorgenannten Buches von dem Verbot ausgenommen werden:
Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen hat der Antragsgegner zu tragen.
und beschlossen:
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 50.000,00 DM festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Berufung der Antragsteller hat auch in der Sache Erfolg.
Demgemäß ist das Urteil des Landgerichts im angefochtenen Umfang abzuändern und dem Verfügungsantrag in der zuletzt gestellten Fassung stattzugeben.
I.
1.) Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil den Verfügungsantrag der Antragsteller teilweise abgewiesen, und zwar soweit beantragt worden ist, dem Antragsgegner unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verbieten,
die folgenden Werke von W W zu vervielfältigen, zu verbreiten und/oder vervielfältigen und verbreiten zu lassen (es sind die in dem Buch von R S "Hinter Wahnfrieds Mauern -- G W, Ein Leben" abgebildeten Fotografien):
"G mit F am 14. September 1930" (Seite 98),
"W und G" (Seite 102),
"G als Konfirmandin, 1931" (Seite 110),
"G mit Festspielkleid, 1934" (Seite 150),
"Das erste Baby, Iris, 1942" (Seite 194).
Hiergegen richtet sich die Berufung der Antragsteller, mit der sie die erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgen, und zwar mit der überarbeiteten Einleitung des Verbotstextes entsprechend dem Urteilsausspruch des Senats.
2.) Mit dem angefochtenen Urteil ist im übrigen dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung von Ordnungsmitteln verboten worden,
die folgenden, in dem Buch von R S "Hinter Wahnfrieds Mauern -- G W, Ein Leben" abgebildeten Werke Wieland W zu vervielfältigen, zu verbreiten und/oder vervielfältigen und verbreiten zu lassen
(es folgen die Fotokopien der "Zeichnung von W für G -- Seite 133, des "Gemäldes von Wieland W" -- Seite 162 und des "Selbstbildnisses Wieland, 1946" -- Seite 238);
von dem Verbot ausgenommen werden die zum Zeitpunkt der Verkündung bereits ausgedruckten und aufgebundenen Exemplare des vorgenannten Buches.
Gegen dieses Verbot -- in erster Instanz hatten die Antragsteller den Verfügungsantrag ohne die Verbotsausnahme gestellt -- wenden sich beide Parteien nicht.
3.) Gegenstand des die Berufung betreffenden Unterlassungsantrages ist demgemäß das Vervielfältigen und Verbreiten der aufgeführten Fotos als solche, und zwar auch -- aber nicht nur -- in dem oben genannten Buch von R S (Anlage AG B 1). Die dabei genannten Seitenzahlen beziehen sich auf die 1. Auflage des Buches; in der 2. Auflage stimmen die Seitenzahlen bei den ersten vier Fotos damit überein, das Foto "Das erste Baby, Iris, 1942" befindet sich in der 2. Auflage auf Seite 191.
II.
Es besteht ein Verfügungsgrund. In Urheberrechtsstreitigkeiten gibt es zwar keine Dringlichkeitsvermutung, vorliegend besteht aber eine Eilbedürftigkeit.
Die streitgegenständlichen Abbildungen der Fotografien W W sind in dem vom Antragsgegner veröffentlichten, im Verbotstenor des Senats genannten Buches von R S (Anlagen Ast 1, 7-8; Anlage AG B 1) erschienen, dessen Verbreitung im Juli 1998 unmittelbar bevorstand.
Die Antragsteller selbst haben die Angelegenheit nicht verzögert behandelt.
Die Antragsteller haben glaubhaft gemacht, daß sie erst durch das Manuskript konkret erfahren haben, welche Fotografien in dem Buch abgebildet sind. In der eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers zu 3) vom 9. Juli 1998 wird ausgeführt, er habe das Buchmanuskript erst Anfang Juli 1998 erhalten und sei nie gebeten worden, die Veröffentlichung von Fotografien W W zu genehmigen (Anlage Ast 2).
Wann die Antragsteller zu 1) und zu 2) von der Veröffentlichung der Fotografien erfahren haben, ist nicht näher vorgetragen (im Abmahnschreiben vom 8. Juli 1998 ist von "jetzt die Abbildungsliste bekommen" die Rede -- Anlage Ast 3). Selbst wenn der Antragsgegner das Manuskript den Antragstellern bereits im Mai 1998 übersandt haben sollte (so das Landgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils), ist wegen der den Antragstellern zuzubilligenden Überlegungszeit die Dringlichkeit nicht entfallen. Denn der Verfügungsantrag ist bereits -- soweit die Fotografien in Rede stehen -- am 22. Juli 1998 bei Gericht eingegangen.
Auf einen früheren Zeitpunkt einer etwaigen Kenntnis der Antragsteller ist nicht abzustellen. Der Antragsgegner hat zwar behauptet, die Antragsteller hätten von dem zwischen ihm (Antragsgegner) und G W geschlossenen Vertrag vom 31. Oktober/9. Dezember 1995 (Anlage AG 2 zur Schutzschrift 308 AR 53/98) gewußt, aus dem sich ergebe, daß in dem Buch (der R S) auch Fotos und Gemälde bzw. Zeichnungen ihres Vaters (W W) veröffentlicht würden (Schutzschrift Bl. 4). Damit trägt der Antragsgegner aber selbst nicht vor, daß die Antragsteller von den hier in Rede stehenden fünf Fotografien konkret und definitiv früher gewußt hätten, daß diese zur Veröffentlichung in dem Buch vorgesehen gewesen sind. Denn ob und welche Werke W W zur Veröffentlichung gelangen würden, war damit auch nach dem Vorbringen des Antragsgegners noch offen.
Gegen eine solche frühere Kenntnis spricht zusätzlich auch der Umstand, daß die Antragsteller nach ihrem glaubhaft gemachten Vorbringen keine Genehmigung zur Veröffentlichung von Fotografien W W -- weder allgemein noch bezüglich der fünf streitgegenständlichen Fotos -- erteilt haben (vgl. die eidesstattlichen Versicherungen der Antragsteller gemäß Anlagen Ast 6, 10 und 2). Daß dies ausdrücklich geschehen wäre, trägt auch der Antragsgegner nicht vor.
III.
Die Klagebefugnis der Antragsteller für den geltend gemachten Unterlassungsantrag ist gegeben.
Der auf § 97 Abs. 1 UrhG gestützte Unterlassungsantrag betrifft die Vervielfältigung und Verbreitung der fünf genannten Fotografien, die W W unstreitig geschaffen hat (vgl. Anlage Ast 6).
Die Antragsteller gehören -- neben anderen Personen -- zu seinen gesetzlichen Erben, auf die gemäß § 28 Abs. 1 UrhG das Urheberrecht W W übergegangen ist. Den Erben eines Urhebers steht das ausschließliche Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung zu (§§ 15-17 UrhG). Das nach § 28 Abs. 1 UrhG vererbte Urheberrecht betrifft nicht nur Rechte an Lichtbildwerken (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG), sondern auch Rechte an (einfachen) Lichtbildern (§ 72 Abs. 1 und 2 UrhG).
Bei einer Erbengemeinschaft finden für vererbte Urheberrechte die §§ 2032 ff BGB, nicht dagegen die Regeln der Miturheberschaft (§ 8 UrhG) Anwendung (Fromm/Nordemann/Hertin, Urheberrecht, 8. Auflage, § 28 UrhG Rdz. 4 m.w.Nw.). Unterlassungsansprüche aus Urheberrechtsverletzung können -- wie vorliegend -- auch von einzelnen Miterben geltend gemacht werden; die Vorschrift des § 2039 Satz 1 BGB, nach der eine Leistung nur an alle Miterben gefordert werden kann, steht insoweit nicht entgegen.
IV.
Der Unterlassungsantrag hinsichtlich der Fotos "Wieland und Gertrud", "Gertrud als Konfirmandin, 1931" und "Gertrud mit Festspielkleid, 1934" ist gemäß § 97 Abs. 1 UrhG begründet.
Bei diesen drei Fotografien handelt es sich um Lichtbildwerke (1. bis 4.). Demgemäß sind die Fotos noch bis 31. Dezember 2036 geschützt (5.). Der Antragsgegner hat an keinem der drei Fotografien ein Nutzungsrecht erworben (6.).
1.) Lichtbildwerke (§ 2 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 UrhG) unterscheiden sich von bloßen Lichtbildern (§ 72 UrhG) dadurch, daß sie eine persönliche geistige Schöpfung darstellen. Insbesondere müssen sie Individualität und Gestaltungshöhe aufweisen. Sie müssen eine individuelle Betrachtungsweise oder künstlerische Aussage des Fotografen zum Ausdruck bringen, die sie von der lediglich gefälligen Abbildung abhebt. Lichtbildwerke zeichnen sich im allgemeinen dadurch aus, daß sie über die gegenständliche Abbildung hinaus eine Stimmung besonders gut einfangen, in eindringlicher Aussagekraft eine Problematik darstellen, den Betrachter zum Nachdenken anregen. Das kann z.B. durch die Wahl des Motivs, des Bildausschnitts oder der Perspektive, durch die Verteilung von Licht und Schatten, durch Kontrastgebung, Bildschärfe oder durch die Wahl des richtigen Moments bei der Aufnahme geschehen (Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, § 2 UrhG Rdz. 113 m.w.Nw.).
Die Masse der alltäglichen Bilder, die rein handwerkliche Abbildung des Fotografierten zählt jedenfalls nicht zu den Lichtbildwerken. Dazu gehören z.B. die sog. Gegenstandsfotografie, die darauf abzielt, die Vorlage möglichst unverändert naturgetreu wiederzugeben, weiter durchschnittliche Amateurfotos, Urlaubsbilder und dergleichen (Schricker/Loewenheim a.a.O. m.w.Nw.).
Bei der Beurteilung der Werkhöhe -- dies gilt für alle fünf streitgegenständlichen Fotos -- kann nur das maßgebend sein, was sich aus ihnen selbst für den Betrachter erschließt. Deswegen spricht der vom Antragsgegner eingewandte Umstand, daß Wieland W bei der Entstehung der Fotografien teilweise noch sehr jung gewesen ist (bei den ersten Fotos "Gertrud mit Friedelind am 14. September 1930" und "Wieland und Gertrud" war er etwa 13 Jahre alt), nicht etwa generell gegen die Annahme von Lichtbildwerken.
Vielmehr wird in dem Buch von R S (Anlage AG B 1) ausführlich die Entwicklung Wieland W auch und gerade als künstlerischer Fotograf geschildert, der bereits in der Schulzeit mit Landschafts- und Porträtaufnahmen "ganz gut verdiente"; die Fotografie war demnach "das eine völlig Eigenständige in Wielands Leben" (Anlagen Ast 7-8 = AG B 1, Seite 145-148) und eine "wirkliche Begabung" (Anlage Ast 9 = AG B 1, Seite 163), in der sich der "Regisseur von Neu-Bayreuth ankündigte" (Anlage AG B 1, Seite 164). Offensichtlich dienten die für das Buch ausgewählten Fotografien insoweit jedenfalls der Buchautorin als Beleg für diese künstlerische Seite Wieland W.
2.) Unter Beachtung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, daß es sich bei dem Foto "Wieland und Gertrud" um ein Lichtbildwerk handelt.
Der Bildaufbau dieser Portraitfotografie ist bewußt gestaltet. Die beiden Personen fallen in ihrer unterschiedlichen Körperhaltung auf. Wieland ist der aktiv Schauende, der sich seitwärts gewandt Gertrud ansieht. Gertrud wird betrachtet, unter Wielands annähernden Blick senkt sie freundlich-verlegen ihren Kopf, die Augen sind fast geschlossen. Damit wird das Rollenverhalten eines jungen Paares in der Begegnung ausdrucksvoll inszeniert. Die beiden Personen stehen dicht beieinander; die damit vermittelte Nähe wirkt aber zugleich etwas hölzern. So bekommt das Nebeneinander eine künstliche, durchaus noch unverbindliche Anmutung, das Nahesein der beiden wird bewußt relativiert. Diese Bildaussage hat ihre Entsprechung im Hintergrund der grob strukturierten Holzfassade mit sichtbaren Trennfugen. Zudem vermittelt der übergroße dunkle Schatten von Wielands Kopf, der sich mit diesem auf Gertrud zubewegt, das Fremde und Bedrohliche, das die Betroffene bei der nicht unwillkommenen Annäherung gleichwohl empfinden kann.
Das Lichtbild ist mithin individuell gestaltet; es hat eine beabsichtigte Wirkung, die über den vordergründigen Anlaß, sich mit dem Selbstauslöser abbilden zu lassen, deutlich hinausgeht.
3.) Nach den oben unter 1.) dargestellten Grundsätzen ist das Foto "Gertrud als Konfirmandin, 1931" ebenfalls ein Lichtbildwerk.
Gertrud wirkt in ihrem festlichen Kleid passend angezogen, ihr Lächeln ist gelassen und natürlich, aber nicht beiläufig. Sie steht ganz sorgfältig nach Art eines Bühnenbildes arrangiert im Mittelpunkt und Vordergrund des Bildes, die Senkrechte ihrer Gestalt wird durch die bewußt gewählte, tiefe Aufnahmeposition des Fotografen zusätzlich betont. Gertrud lehnt sich an ein Geländer, das zu ihr durch die Betonung der Waagerechten und der steilen Perspektive stark kontrastiert. Das Geländer gibt Gertrud Halt, es weist in die durch die perspektivische Tiefe verdeutlichte Vergangenheit zurück und läßt Gertrud nach vorn ins zukünftige Leben blicken. Der akzentuierte Schatten des Geländers bildet einen kräftig wirkenden, deutlichen Pfad, auf dem Gertrud "gehen" kann. Dem dadurch sinnbildlich ausgedrückten Blick in die Zukunft entspricht der Hintergrund mit dem Haus, das mit seiner Architektur wie eine besonders inszenierte Kulisse wirkt. Gertrud ist zentral vor dem mittleren Fenster plaziert, sie wird von zwei Fenstern eingerahmt und von dem Fensterdach in der Mitte gleichsam "behütet".
Die Fotografie ist bewußt gestaltet, sorgfältig konstruiert und von individuellem Ausdruck.
4.) Entsprechend den obigen Ausführungen unter 1.) handelt es sich auch bei dem Foto "Gertrud mit Festspielkleid, 1934" um ein Lichtbildwerk.
Das Besondere dieser Fotografie erschließt sich aus dem Zusammenwirken von bewußten Kontrasten und kaum wahrnehmbaren Übergängen zwischen der dargestellten Person Gertrud und ihrer künstlich verfremdeten Umgebung. Dem Dunkel auf der rechten Bildseite steht das Helle auf der linken Seite gegenüber, in der Mitte des Gegensätzlichen befindet sich Gertrud. Ihre Arm- und Körperhaltung vermittelt bewußt eine gespannte, aber unverkrampfte Eleganz, die der des festlichen Kleides ebenbürtig ist. Die Kamera ist betont tief angesetzt, die Figur Gertruds wirkt so besonders schlank und überlegen. Der Übergang vom Kleid zum ebenfalls stoffartig wirkenden Hintergrund ist weich gestaltet, demgegenüber ist der Hell-Dunkel-Gegensatz zwischen Fußboden und Rocksaum akzentuiert hart, deutlich herausgearbeitet ist auch das Licht- und Schattenspiel hinter und um Gertrud. Das Helle und Dunkle und die stoffliche Struktur von Kleid und Hintergrund vermitteln Weite, die das Festliche des Kleides steigert, aber auch in Richtung einer Abstraktion überhöht.
Es handelt sich um eine individuelle Werkschöpfung; es werden Gestalt, Bewegung und Raum in bewußter Komposition verarbeitet.
5.) Die drei Fotografien sind noch bis 31. Dezember 2036 geschützt.
(a) Die Fotos sind unstreitig zwischen 1930 und 1934 entstanden. Die Fotografie "Wieland und Gertrud" stammt unstreitig aus dem Jahre 1930 (vgl. dazu die Angaben in dem beanstandeten Buch Anlage AG B 1, Seite 98 bis 103). Auch die übrigen Jahresangaben sind unstreitig, sie ergeben sich aus den Bildunterschriften in dem Buch (Anlage AG B 1), und zwar "Gertrud als Konfirmandin, 1931" (Seite 110), und "Gertrud mit Festspielkleid, 1934" (Seite 150).
Alle fünf streitgegenständlichen und demgemäß auch die hier in Rede stehenden drei Fotografien sind bis zum Tode des Lichtbildners Wieland Wagner am 17. Oktober 1966 nicht veröffentlicht worden. Danach hat es eine von seinen Erben autorisierte Veröffentlichung der Fotos -- abgesehen von dem beanstandeten Buch -- ebenfalls nicht gegeben.
(b) Zunächst waren die drei Lichtbildwerke nach dem (bis zum 31. Dezember 1965 gültigen) § 26 Satz 2 KUG einheitlich bis zum 31. Dezember 1991 geschützt.
Die Fotografien sind zwischen 1930 und 1934 entstanden. Nach § 26 Satz 2 KUG beträgt die Schutzfrist für -- wie vorliegend -- nicht erschienene Lichtbildwerke 25 Jahre, beginnend mit dem Tode des Fotografen (vgl. dazu: Fromm/Nordemann/Hertin, a.a.O., §§ 72 UrhG Rdz. 2, §§ 135/135 a UrhG Rdz. 1, 8; Schricker/Katzenberger, a.a.O., §§ 135/135 a UrhG Rdz. 3, 9). Die Frist berechnet sich nach § 29 KUG, die dem jetzigen § 69 UrhG entspricht (Fromm/Nordemann, a.a.O., § 69 UrhG Rdz. 1); sie begann mit dem 1. Januar 1967 und endete mit dem 31. Dezember 1991.
(c) Für die drei Fotos ergaben sich durch die Gesetzesänderung zum 1. Januar 1966 nach § 68 UrhG in der damaligen Fassung -- für sich gesehen -- verkürzte Schutzfristen gegenüber der früheren Rechtslage. Für das älteste der drei Fotografien ("Wieland und Gertrud" von 1930) wäre die Schutzfrist mit dem 31. Dezember 1955, für das jüngste der drei Fotos ("Gertrud mit Festspielkleid, 1934") mit dem 31. Dezember 1959 beendet gewesen.
Gemäß § 68 UrhG (1966) war -- anders als nach § 26 Satz 2 KUG -- für den Beginn der Schutzfrist von 25 Jahren bei nicht erschienenen Lichtbildwerken nicht mehr der Tod des Urhebers, sondern der Zeitpunkt der Herstellung der Fotografien maßgebend (vgl. v. Gamm, UrhG, 1968, § 64 UrhG Rdz. 2, § 68 UrhG Rdz. 1). Das Urheberrechtsgesetz ist mit § 68 UrhG am 1. Januar 1966 anstelle des KUG in Kraft getreten (§ 143 UrhG); mangels einer besonderen Überleitungsregelung galt § 68 UrhG a.F. auch für Alt-Werke (§ 129 UrhG). Wieland W ist erst danach am 17. Oktober 1966 verstorben, demgemäß kam § 68 UrhG (1968) für die drei Lichtbildwerke zur Anwendung.
Nach § 68 UrhG (1966) betrug die Schutzfrist für die nicht erschienenen Lichtbildwerke Wieland W 25 Jahre nach deren Herstellung (von 1930 bis 1934). Die Frist berechnete sich nach § 69 UrhG, sie hätte bei dem ältesten Bild mit dem 1. Januar 1931 und bei dem jüngsten Bild mit dem 1. Januar 1935 begonnen.
(d) Die mit der Gesetzesnovelle vom 10. November 1972 eingeführte -- vom Landgericht übersehene -- Regelung des § 135 a UrhG hat zur Folge, daß die drei Fotografien einheitlich bis 31. Dezember 1990 geschützt waren.
§ 135 a Satz 1 UrhG (1972) betrifft die vor "seinem" (des UrhG) Inkrafttreten entstandenen Rechte, deren Schutzdauer durch die Anwendung "dieses Gesetzes", d.h. des UrhG, verkürzt wird. Die Rechte an den drei Fotos sind mit ihrer Herstellung zwischen 1930 und 1934, mithin vor dem Inkrafttreten des UrhG am 1. Januar 1966 (§ 143 UrhG) entstanden. Wie oben unter 5. (b) und (c) ausgeführt, hat die Gesetzesänderung die Schutzdauer bei den Fotos verkürzt; gemäß § 26 Satz 2 KUG wären die Fotos erst nach dem 31. Dezember 1991 gemeinfrei geworden, gemäß § 68 UrhG (1966) aber bereits nach dem 31. Dezember 1955 (beim ältesten Bild) bzw. nach dem 31. Dezember 1959 (beim jüngsten der drei Fotos).
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners gilt § 135 a UrhG auch für Lichtbildwerke. Die Vorschrift betrifft nach ihrem Wortlaut allgemein ein "Recht" und nicht etwa nur Leistungsschutzrechte der ausübenden Künstler (vgl. hierzu BVerfGE 31, 275 -- Schallplatten). Das entspricht dem Sinn und Zweck der Vorschrift, um auch die Rückverlagerung des Fristbeginns bei unveröffentlichten Lichtbildern und Lichtbildwerken auszugleichen (Fromm/Nordemann/Hertin a.a.O., §§ 135/135 a UrhG Rdz. 1, 3 m.w.Nw.; Schricker/Katzenberger a.a.O., §§ 135/135 a UrhG Rdz. 1, 3-5, 9), sofern deren Schutzfristen mit dem Inkrafttreten des UrhG noch nicht abgelaufen waren (Schricker/Katzenberger a.a.O., §§ 135/135 a UrhG Rdz. 3).
Gemäß § 135 a Satz 1 UrhG ist vorliegend für den Beginn der Schutzfrist der nicht erschienenen Lichtbildwerke nicht deren Herstellung, sondern statt dessen das Inkrafttreten des Urheberrechtsgesetzes am 1. Januar 1966 maßgeblich. Die gemäß § 68 UrhG (1966) 25-jährige Schutzfrist wäre demgemäß bei den drei Fotos einheitlich mit dem 31. Dezember 1990 beendet gewesen (vgl. Schricker/Katzenberger a.a.O., §§ 135/135 a UrhG Rdz. 8).
Die Regelung des § 135 a Satz 2 UrhG, die die Schutzverlängerung nach § 135 a Satz 1 UrhG einschränkt, kommt vorliegend nicht zur Anwendung. Denn eine kürzere Frist ergibt sich in Ansehung des § 26 Satz 2 KUG hier nicht, weil Wieland Wagner am 17. Oktober 1966 verstorben ist und die Schutzfrist nach § 26 Satz 2 KUG -- wie oben unter 5. (b) ausgeführt -- für die drei Fotos erst am 31. Dezember 1991 enden würde (vgl. dazu Schricker/Katzenberger a.a.O., §§ 135/135 a UrhG Rdz. 8). § 135 a Satz 1 UrhG führt dagegen zu einer Schutzdauer bis 31. Dezember 1990.
(e) Durch die Aufhebung des § 68 UrhG (1966) und den im Rahmen der Urheberrechtsnovelle vom 24. Juni 1985 gleichzeitig eingefügten § 137 a UrhG hat sich nach Absatz 1 dieser Vorschrift die Schutzdauer wiederum verändert, sie endet für die drei Fotos einheitlich erst mit dem 31. Dezember 2036.
Die urheberrechtliche Schutzdauer der §§ 64 ff UrhG gilt gemäß § 137 a Abs. 1 UrhG für Lichtbildwerke, deren Schutzfrist am 1. Juli 1985 nach dem bis dahin geltenden Recht noch nicht abgelaufen ist (Fromm/Nordemann/Hertin a.a.O., §§ 137 a UrhG Rdz. 2; Schricker/Katzenberger a.a.O., § 68 UrhG Rdz. 1, § 137 a UrhG Rdz. 1, 2). Wie oben unter 5. (d) ausgeführt, lief die Schutzdauer für die Fotos gemäß § 135 a UrhG noch bis zum 31. Dezember 1990, sie war mithin am 1. Juli 1985 noch nicht abgelaufen.
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners ist unter "dem bis dahin geltenden Recht" im Sinne des § 137 a UrhG nicht allein die Regelung des § 68 UrhG (1966) zu verstehen. Deren Anwendung allein würde allerdings -- wie oben unter 5. (c) ausgeführt -- zur Verkürzung der Schutzfristen gegenüber der Rechtslage nach dem § 26 KUG führen; deswegen ist mit der Gesetzesnovelle vom 10. November 1972 zur Bereinigung der als verfassungswidrig angesehenen Rechtsverkürzung gerade § 135 a UrhG eingefügt worden.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 137 a Abs. 1 UrhG kann daher die Wendung "nach dem bis dahin geltenden Recht" nur die Anwendung aller damals geltenden Vorschriften und damit auch die des § 135 a UrhG bedeuten. Daß der Gesetzgeber entgegen dem Wortlaut des § 137 a Abs. 1 UrhG gleichwohl den § 135 a UrhG etwa außer Kraft hätte setzen oder die -- nochmalige -- Verlängerung der Schutzfristen für bestimmte ältere Lichtbildwerke hätte ausschließen wollen, ist dem Gesetz selbst und den gesetzgeberische Motiven zu § 137 a UrhG nicht zu entnehmen. Insoweit ist nur von einer wegen der Einbeziehung der Lichtbildwerke unter die für andere urheberrechtliche Werke geltende Schutzfrist "notwendige Übergangsregelung" die Rede (BT-Drucksache 10/837 S. 22).
Gegenteiliges ist dem Schrifttum nicht zu entnehmen. Der Hinweis von Schricker/Katzenberger auf die "entsprechende Schutzdauerbestimmung des früheren Rechts in § 68 UrhG" (a.a.O., § 137 a UrhG Rdz. 2) ist als solcher zutreffend, denn § 68 UrhG galt vor dem 1. Juli 1985 und die Rechtsfolgen dieser Vorschrift haben nur in bestimmten Fällen durch § 135 a UrhG eine Änderung erfahren. Mit der speziellen Frage des § 135 a UrhG beschäftigt sich die Literaturstelle ersichtlich nicht. Entsprechendes gilt für die dort in Bezug genommenen Fundstellen (Schricker/Katzenberger a.a.O., § 64 UrhG Rdz. 23, § 68 UrhG Rdz. 1). Der Hinweis bei Fromm/Nordemann/Hertin, wonach eine Rückwirkung des verlängerten Rechtsschutzes für Lichtbildwerke und Dokumente der Zeitgeschichte, die vor dem 1. Januar 1960 erschienen oder hergestellt worden sind, ausgeschlossen sein soll, wird nicht näher begründet (a.a.O., § 137 a UrhG Rdz. 1); die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich zudem nur auf bereits erschienene Fotografien (Fromm/Nordemann/Hertin a.a.O., § 137 a UrhG Rdz. 2). Die vorliegende spezielle Problematik zu § 135 a UrhG wird dort nicht erörtert, aber an anderer Stelle entsprechend der oben dargestellten Auffassung des Senats behandelt (vgl. Fromm/Nordemann/Hertin a.a.O., § 135 a UrhG Rdz. 8).
(f) Gemäß § 64 Abs. 1 UrhG erlischt das Urheberrecht 70 Jahre nach dem Tode des Urhebers. Die 70-jährige Schutzfrist beginnt mit dem 1. Januar 1967 (§ 69 UrhG) und endet für alle drei Fotografien einheitlich mit dem 31. Dezember 2036 (vgl. Schricker/Katzenberger a.a.O. § 64 UrhG Rdz. 20).
Diese Regelung stimmt mit der des § 129 Abs. 1 UrhG überein, die als Übergangsbestimmung für § 64 Abs. 1 UrhG gilt. § 64 Abs. 1 UrhG ist mithin auch auf Werke anzuwenden, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geschaffen worden sind, sofern sie bei Inkrafttreten des § 64 Abs. 1 UrhG noch urheberrechtlich geschützt waren. § 64 Abs. 1 UrhG trat am 17. September 1965 in Kraft (§ 143 Abs. 1 UrhG -- vgl. Schricker/Katzenberger a.a.O., § 64 UrhG Rdz. 21). Damals waren die drei Fotografien Wieland W urheberrechtlich geschützt; auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.
6.) Der Antragsgegner hat an keinem der fünf streitgegenständlichen Fotografien -- und damit auch an den hier in Rede stehenden drei Fotos ein Nutzungsrecht erworben (§ 31 UrhG).
Eine wirksame Übertragung des Rechts auf Vervielfältigung und Verbreitung hätte nur von allen Miterben, d.h. den vier Kindern Wieland W (das sind die drei Antragsteller und deren Schwester) und seiner Ehefrau Gertrud W gemeinschaftlich vorgenommen werden können, wobei -- wie das Landgericht zur Frage der Rechteübertragung an den Abbildungen der Bilder Wieland Wagners zutreffend ausgeführt hat -- die Einigung untereinander und die Ermächtigung einer Person zur Rechteübertragung ausreichend gewesen wäre.
Der Antragsgegner hat nicht glaubhaft gemacht, daß und gegebenenfalls auf welchem Wege ihm die Nutzungsrechte an den fünf Fotografien übertragen worden sind. Vielmehr tragen die Antragsteller unter Vorlage eidesstattlicher Versicherungen vor, daß es keine Einwilligung zur Rechteübertragung und auch keine Einigkeit der Erben über eine solche Rechteübertragung gegeben hat (vgl. Anlagen Ast 2, 5-6, 10).
V.
Der Unterlassungsantrag hinsichtlich der Fotos "Gertrud mit Friedelind am 14. September 1930" und "Das erste Baby, Iris, 1942" ist gemäß § 97 Abs. 1 UrhG begründet.
Bei diesen zwei Fotografien handelt es sich zwar nicht um Lichtbildwerke (1. und 2.), aber als (einfache) Lichtbilder um Dokumente der Zeitgeschichte (3.). Demgemäß sind die Fotos noch bis 31. Dezember 2016 geschützt (4.). Der Antragsgegner hat an den Fotos kein Nutzungsrecht erworben (5.).
1.) Unter Beachtung der oben unter IV. 1. dargestellten Grundsätze handelt es sich bei dem Foto "Gertrud mit Friedelind am 14. September 1930" nicht um ein Lichtbildwerk.
Die dargestellte Straßenszene wird von dem Überhellen des halbverdeckten Spruchbandes "Deutschland erwache!" beherrscht. Darunter stehen die beiden Mädchen; bei ihnen ist der Kontrast zwischen dem hochgewachsenen jungen Mädchen (Gertrud) mit Zöpfen und gemustertem Kleid einerseits und der durch die gedrungene Gestalt, den großen Hut und die dunkle Kleidung älter wirkenden Friedelind auffallend. Die Mädchen sehen eher "verkleidet" aus, Gertrud wirkt in ihrem Kleid etwas verloren, während Friedelinds Zöpfe zu der Kleidung einer Erwachsenen nicht ganz passen. Die Personen hinter Gertrud und Friedelind sind in gleicher Bildschärfe abgebildet, die Mädchen wirken so in die Menschenmenge auf der Straße einbezogen.
Daß das Foto eine gewisse Individualität hat, erscheint nicht zweifelhaft. Es fehlt aber dem Lichtbild die für ein Werk erforderliche Gestaltungshöhe.
Das Spruchband ist nur halb zu sehen, es wirkt wie zufällig und eher mißglückt abgebildet und ist nicht in das sonstige Bildgeschehen einbezogen. Allerdings hat der durch die Zeit des Nationalsozialismus berüchtigte Slogan "Deutschland erwache!" eine politische und historische Bedeutung. Die nur unvollständige Darstellung ist aber ohne Gestaltungskraft, sie führt nicht zu einer vertieften Aussage innerhalb des Fotos. Insoweit ist es naheliegenderweise nicht ausreichend, daß es zwischen der Familie W und A H besondere und sicher nicht unwichtige Beziehungen gegeben hat, über die auch in dem beanstandeten Buch (Anlage AG B 1) berichtet wird. Denn dies betrifft die historische Bedeutung des Fotos, nicht aber seinen Werkcharakter.
Zu der Fotografie, auf der Gertrud und Friedelind an dem Wahltag des 14. September 1930 zu sehen sind, ließe sich zwar sagen, daß das abgebildete Spruchband mit der verhängnisvollen Parole der damaligen ... "über alle Köpfe" zu gehen scheint. Ein solcher, durchaus mehrschichtiger Gedanke ist aber aus dem Lichtbild selbst nicht zu entnehmen, sondern wäre in das Foto nur überspitzt und nachträglich hineininterpretiert. Die Wahl des auffälligen Motivs genügt nicht für die Annahme eines Lichtbildwerkes.
Dem Senat scheint es auch nicht überzeugend zu sein (so aber das Argument in dem Gutachten gemäß Anlage ASt 11), das beziehungslose Nebeneinander von Spruchband, Menschenmenge und Straßenhintergrund als Collage zu bezeichnen und allein darin die für ein Lichtbildwerk erforderliche Gestaltungskraft zu sehen. Selbstverständlich können auch fotografische Collagen urheberrechtlichen Werkschutz genießen, aber nur bei ausreichender -- vorliegend nach Überzeugung des Senats nicht gegebener -- Gestaltungshöhe.
2.) Nach den oben unter IV. 1. dargestellten Grundsätzen ist das Foto "Das erste Baby, Iris, 1942" ebenfalls kein Lichtbildwerk.
Durch die Aufnahmeposition des Fotografen befindet sich der Betrachter des Bildes in Augenhöhe mit der Mutter, auf die das hochgehaltene Kind herabblickt. Die Mutter ist stolz und sieht sich innig das Baby Iris an, das wie ein schlaffes Bündel passiv in den übergroßen Händen der Mutter hängt und von allem nichts zu merken scheint.
Diese Fotografie läßt die erforderliche Gestaltungshöhe vermissen. Der enge Bildausschnitt ist naheliegend und als solcher nicht werkbegründend. Es ist die nur gefällige Darstellung eines Säuglings in den Händen seiner Mutter. Vertiefte Gedanken zur Einheit von Mutter und Kind oder zur Hilflosigkeit des Kindes ergeben sich allein aus dem Thema des Bildes, eine besondere Gestaltungsform und -kraft ist ihm nicht zu entnehmen. Vielmehr wirkt die Armbanduhr der Mutter eher störend, bei den fast gleichen Weißtönen des Kleides von Iris und des Brusttuches der Mutter verliert der Betrachter leicht die Orientierung.
Soweit die Antragsteller in dem ihnen insoweit nicht nachgelassenen Schriftsatz unter Hinweis auf das Privatgutachten (Anlage ASt 11) damit argumentieren, damals seien der enge Fotoausschnitt und die seitliche Anordnung der Köpfe von Mutter und Kind ganz ungewöhnlich gewesen, so kann dies in tatsächlicher Hinsicht keine Berücksichtigung finden. Denn diese Umstände sind bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung nicht vorgetragen worden. Das Foto dürfte aber auch unter Einbeziehung dieser Gesichtspunkte die erforderliche Gestaltungshöhe noch nicht erreichen.
3.) Beide Fotografien sind als einfache Lichtbilder Dokumente der Zeitgeschichte im Sinne des § 72 Abs. 3 UrhG (1985). Obwohl diese Vorschrift inzwischen durch § 72 Abs. 3 UrhG (1995) ersetzt worden ist, kommt es -- wie noch unter V. 4. ausgeführt wird -- auf die frühere Regelung vorliegend an.
(a) Der Begriff "Dokumente der Zeitgeschichte" im Sinne des § 72 Abs. 3 UrhG (1985) läßt eine weite Auslegung zu, er kann an das Merkmal des "(außergewöhnlichen) dokumentarischen Wertes" (§ 55 Abs. 2 UrhG) sowie an "Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte" (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG) anknüpfen. Deckungsgleich sind die Bezugsbegriffe nicht, denn § 72 Abs. 3 UrhG (1985) setzt keine Bedeutung von historischem Rang voraus. Dokumente der Zeitgeschichte können, müssen aber nicht Bildnisse im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG sein, denkbar sind z.B. auch Fotos seltener Naturereignisse. Der Bereich der Zeitgeschichte umfaßt nicht nur das politische, sondern auch das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben des Volkes, d.h. alles, was in der Öffentlichkeit -- auch regional -- beachtet wird (Fromm/Nordemann/Hertin a.a.O., § 72 UrhG Rdz. 8; Schricker/Gerstenberg a.a.O., § 72 UrhG Rdz. 7).
Der Charakter eines Lichtbildes als "Dokument der Zeitgeschichte" muß nicht von vornherein feststehen, sondern wird sich vielfach erst aus späterer Sicht ergeben, sei es, daß die abgebildete Person inzwischen eine berühmte Person der Zeitgeschichte geworden ist, sei es, daß der abgebildete Gegenstand nach Jahren kulturhistorisches Interesse erweckt und seine Abbildung zu einem zeitgeschichtlichen Dokument geworden ist. Einmaligkeit, Originalität und Sinnfälligkeit des Bildgegenstandes in Bezug auf zeitgeschichtliche Ereignisse können geeignete Indizien sein. Die Tatsache, daß ein Lichtbild nach Jahrzehnten noch von so großem Interesse ist, daß es vervielfältigt, verbreitet und/oder gesendet wird, zeigt bereits seinen zeitgeschichtlich-dokumentarischen Charakter (Fromm/Nordemann/Hertin a.a.O.; Schricker/Gerstenberg a.a.O.).
(b) Unter Beachtung der oben unter IV. 3. (a) dargestellten Grundsätze handelt es sich bei dem Foto "Gertrud mit Friedelind am 14. September 1930" um ein Dokument der Zeitgeschichte.
Wieland W ist nicht nur als erstgeborener Enkel R W, sondern insbesondere auch durch seine eigene Regieleistung in Bayreuth von großer zeitgeschichtlicher Bedeutung. Die von ihm auf dem Foto neben Friedelind abgebildete Gertrud ist seine Jugendliebe und spätere Ehefrau. Die in dem beanstandeten Buch (Anlage AG B 1) geschilderte Nähe der Familie W zum NS-Regime gibt der teilweise abgelichteten Parole "Deutschland erwache!" neben dem aktuellen Bezug als Aufnahme am Wahltag des 14. September 1930 eine weitere historisch-dokumentarische Dimension. Auf die obigen Ausführungen unter IV. 1. wird Bezug genommen.
(c) Unter Beachtung der oben unter IV. 3. (a) dargestellten Grundsätze ist das Foto "Das erste Baby, Iris, 1942" ebenfalls ein Dokument der Zeitgeschichte.
Das abgebildete Kind I wird von seiner Mutter G hochgehalten und ist die erstgeborene Tochter von Wieland W. Bereits wegen der kulturhistorischen Bedeutung Wieland W hat die Fotografie dokumentarischen Charakter und ist von zeitgeschichtlichem Interesse. Hinzukommt der Umstand, daß Iris die Urenkelin Richard W ist.
4. Die zwei Fotografien sind noch bis 31. Dezember 2016 geschützt.
(a) Die Fotos sind unstreitig 1930 und 1942 entstanden. Die Jahresangaben ergeben sich aus den Bildunterschriften in dem Buch (Anlage AG B 1), und zwar "Gertrud mit Friedelind am 14. September 1930" (Seite 98) und "Das erste Baby, Iris, 1942" (Seite 194).
Die beiden Fotografien sind bis zum Tode des Lichtbildners Wieland W am 17. Oktober 1966 unveröffentlicht geblieben. Auf die obigen Ausführungen unter IV. 5. (a) wird Bezug genommen.
(b) Zunächst waren die zwei einfachen Lichtbilder nach dem (bis zum 31. Dezember 1965 gültigen) § 26 Satz 2 KUG einheitlich bis zum 31. Dezember 1991 geschützt.
§ 26 Satz 2 KUG galt für Lichtbildwerke und einfache Lichtbilder in gleicher Weise (vgl. Fromm/Nordemann/Hertin a.a.O., § 72 UrhG Rdz. 1); eine Unterscheidung innerhalb der einfachen Lichtbilder mit und ohne dokumentarischen Charakter gab es nicht. Auf die obigen Ausführungen unter IV. 5. (b) wird entsprechend Bezug genommen.
(c) Für die zwei Fotos ergaben sich durch die Gesetzesänderung zum 1. Januar 1966 nach § 68 UrhG (1966) in Verbindung mit § 72 Abs. 1 UrhG (1966) verkürzte Schutzfristen gegenüber der früheren Rechtslage. Für das ältere der beiden Fotografien ("Gertrud mit Friedelind am 14. September 1930") wäre die Schutzfrist mit dem 31. Dezember 1955, für das jüngere Foto ("Das erste Baby, Iris, 1942") mit dem 31. Dezember 1967 beendet gewesen.
Wie oben unter IV. 5. (c) ausgeführt, war gemäß § 68 UrhG (1966) für nicht erschienene Lichtbildwerke -- anders als nach § 26 Satz 2 KUG -- für den Beginn der Schutzfrist nicht mehr der Tod des Urhebers, sondern der Zeitpunkt der Herstellung der Fotografien maßgeblich.
§ 68 UrhG (1966) galt gemäß § 72 Abs. 1 UrhG (1966) ebenso für einfache Lichtbilder; denn nach § 72 Abs. 1 UrhG (1966) waren die geltenden Vorschriften des Ersten Teils des UrhG (§§ 1-69 UrhG) auf Lichtbilder sinngemäß anzuwenden. Mangels Unterscheidung innerhalb der einfachen Lichtbilder galt § 72 Abs. 1 UrhG (1966) auch für Dokumente der Zeitgeschichte. Auf die obigen Ausführungen unter IV. 5. (c) wird entsprechend Bezug genommen.
(d) Nach der späteren Regelung des § 135 a UrhG (1972) waren die zwei Fotos einheitlich bis 31. Dezember 1990 geschützt.
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners gilt § 135 a UrhG nicht nur für Lichtbildwerke, sondern auch für alle einfachen Lichtbilder (vgl. Fromm/Nordemann/Hertin a.a.O., §§ 135/135 a UrhG Rdz. 3). Die Schutzfristdauer ergibt sich entsprechend den obigen Ausführungen unter IV. 5. (d) aus § 135 a Satz 1 UrhG, § 135 a Satz 2 UrhG kommt nicht in Betracht.
(e) Durch die Aufhebung des § 68 UrhG (1966) und gemäß dem zugleich (mit der Novelle vom 24. Juni 1985) neugefaßten § 72 UrhG (1985) hat sich die Schutzdauer geändert, sie endet für alle fünf Fotos einheitlich erst mit dem 31. Dezember 2016.
Gemäß § 72 Abs. 3 Satz 1 UrhG (1985) gilt für einfache, nicht erschienene Lichtbilder, die Dokumente der Zeitgeschichte sind, nunmehr eine 50-jährige Schutzfrist ab deren Herstellung.
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners ist hierbei nicht allein auf § 72 Abs. 3 Satz 1 UrhG (1985) abzustellen. Das hätte nämlich bei den nicht erschienenen, in den Jahren 1930 und 1942 hergestellten Fotos Wieland W zur Folge, daß die 50-jährige Frist beim ältesten Bild mit dem 1. Januar 1931 und bei dem jüngsten Bild mit dem 1. Januar 1943 begonnen hätte und bei dem ältesten Bild mit dem 31. Dezember 1980 und bei dem jüngsten Bild mit dem 31. Dezember 1992 geendet hätte. Wegen der Berechnung wird auf die obigen Ausführungen unter IV. 5. (c) entsprechend Bezug genommen.
Die 50-jährige Frist beginnt aber vorliegend nicht mit der Herstellung der Fotos, sondern in Anwendung von § 135 a Satz 1 UrhG (1972) für alle Fotos mit dem 1. Januar 1966 (vgl. Fromm/Nordemann/Hertin a.a.O., § 72 UrhG Rdz. 9, §§ 135/135 a UrhG Rdz. 8). Auf die obigen Ausführungen unter IV. 5. (d) wird Bezug genommen.
Der mit der Gesetzesnovelle vom 10. November 1972 geschaffene § 135 a UrhG gilt -- wie oben unter V. 4. (d) ausgeführt -- für Lichtbildwerke und für alle einfachen Lichtbilder. § 135 a UrhG unterscheidet bei einfachen Lichtbildern nicht danach, ob sie Dokumente der Zeitgeschichte sind oder nicht.
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners hat § 135 a Satz 2 UrhG (1972) für die durch § 72 UrhG (1985) eingetretene Verlängerung der Schutzfrist keine einschränkende Wirkung. § 135 a Satz 2 UrhG betrifft -- wie schon die Gesetzessystematik belegt -- lediglich die mit § 135 a Satz 1 UrhG geschaffene Regelung; eine Übergangsregelung für Alt-Fälle im Rahmen des § 72 UrhG (1985) ist § 135 a Satz 2 UrhG (1972) nicht.
(f) Durch die Urheberrechtsnovelle vom 24. Juni 1985 ist -- wie oben unter IV. 5. (e) und V. 4. (e) ausgeführt -- § 137 a UrhG eingefügt, § 68 UrhG (1966) aufgehoben und § 72 UrhG (1985) neu gefaßt worden.
§ 137 a UrhG stellt auf das "bis dahin geltende Recht" ab. Wie oben unter IV. 5. (e) ausgeführt, ist dabei nicht auf § 68 UrhG (1966) allein, sondern auch auf § 135 a UrhG (1972) abzustellen. Wie oben unter IV. 5. (d) ausgeführt, waren die Lichtbilder nach dem bis zur Urheberrechtsnovelle von 1985 geltendem Recht gemäß § 135 a UrhG (1972) einheitlich bis 31. Dezember 1990 geschützt, die Schutzdauer war mithin am 1. Juli 1985 noch nicht abgelaufen. § 135 a Satz 2 UrhG (1972) ändert insoweit nichts, auf die obigen Ausführungen unter V. 4. (e) wird Bezug genommen.
§ 137 a UrhG betrifft nach seinem Wortlaut Lichtbildwerke. Die Vorschrift wird aber nach zutreffender Ansicht auf einfache Lichtbilder, die Dokumente der Zeitgeschichte sind, analog angewendet (Schricker/Gerstenberg a.a.O., § 72 UrhG Rdz. 22; Schricker/Katzenberger a.a.O., § 137 a UrhG Rdz. 4; vgl. Fromm/Nordemann/Hertin a.a.O., § 137 a UrhG Rdz. 3).
(g) Nichts anderes ergibt sich aus der Neufassung des § 72 Abs. 3 UrhG (1995). Deswegen ist es aber auch entscheidungserheblich, ob die Fotos als einfache Lichtbilder Dokumente der Zeitgeschichte sind oder nicht:
Nach § 72 Abs. 3 Satz 1 UrhG (1995) wäre die 50-jährige Schutzdauer der Lichtbilder, obwohl sie Dokumente der Zeitgeschichte sind, abgelaufen, bei dem älteren Bild mit dem 31. Dezember 1980 und bei dem jüngsten Bild mit dem 31. Dezember 1992. Denn nach § 72 Abs. 3 Satz 1 UrhG (1995) beträgt die Schutzdauer für alle nicht erschienenen einfachen Lichtbilder, die keine Lichtbildwerke sind, 50 Jahre ab deren Herstellung.
Diese Regelung würde zu einer Verkürzung der Schutzdauer gegenüber dem früheren Recht führen. Die Schutzfrist endet -- wie oben unter V. 4. (e) und (f) ausgeführt -- für die zwei Fotos einheitlich erst mit dem 31. Dezember 2016. Gemäß § 137 f Abs. 1 Satz 1 UrhG (1995) bleibt es insoweit bei der Schutzdauer nach den bis zum 30. Juni 1995 geltenden Vorschriften.
(h) Entgegen der Ansicht der Antragsteller kann nicht dahinstehen, ob die zwei Fotos als einfache Lichtbilder Dokumente der Zeitgeschichte -- wie es der Fall ist -- oder nicht.
Denn wären die beiden Fotos einfache Lichtbilder ohne dokumentarischen Charakter, so hätte deren Schutzfrist einheitlich mit dem 31. Dezember 1990 geendet.
Die Rechtslage stimmte zunächst mit derjenigen überein, die für die Fotografien gelten würde, die als einfache Lichtbilder Dokumente der Zeitgeschichte sind. Denn § 26 KUG, aber auch die §§ 68, 72 Abs. 1 UrhG (1965) und § 135 a UrhG galten bzw. gelten -- § 72 Abs. 1 UrhG (1995) -- für alle Lichtbilder. Für (wie vorliegend unterstellt) einfache Lichtbilder, die keine Dokumente der Zeitgeschichte sind, ist § 137 a UrhG (1985) nicht -- auch nicht analog -- anwendbar (Schricker/Gerstenberg a.a.O., § 72 UrhG Rdz. 22). Der eindeutige Wortlaut und Gesetzeszweck ließe anderes nicht zu.
Die Neufassung des § 72 Abs. 3 UrhG (1995) änderte das Ergebnis vorliegend nicht. Gemäß § 137 f Abs. 1 Satz 2 UrhG (1995) gilt § 72 Abs. 3 UrhG (1995) für Werke und verwandte Schutzrechte, deren Schutz am 1. Juli 1995 noch nicht erloschen ist. Das wäre aber bei den zwei Fotos Wieland W bereits -- wie oben ausgeführt -- mit dem 31. Dezember 1990 der Fall gewesen.
5.) Der Antragsgegner hat an keinem der zwei hier in Rede stehenden Fotos ein Nutzungsrecht erworben (§ 31 UrhG). Auf die obigen Ausführungen unter IV. 6. wird Bezug genommen.
VI.
Die Berufung des Antragsgegners ist nach alledem begründet.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.
Die in zweiter Instanz in den Unterlassungsantrag aufgenommene Verbotsausnahme stellt keine teilweise Antragsrücknahme dar. § 269 Abs. 3 ZPO findet insoweit keine Anwendung.“
OLG Hamburg Fotorecht-Urteil vom 05.11.1998 (AZ.: 3 U 175/98 / Landgericht Hamburg Urteil vom 22.07.1998
1. Ein Schlag mit der Hand gegen die von einem Pressefotografen vor seinem Gesicht gehaltene Kamera erfüllt nicht ohne weiteres den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung durch Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs.
2. Das Anfertigen von Bildern ohne Einverständnis des Betroffenen stellt keine Verletzung des § 22 KunstUrhG dar, sondern einen Eingriff in das sich aus Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG ergebene allgemeine Persönlichkeitsrecht (Recht am eigenen Bild).
3. Der Eingriff in das Recht am eigenen Bild entfällt nicht etwa deshalb, weil das später veröffentlichte Bild in der Presse durch einen Balken über die Augenpartie verfremdet werden könnte. Es reicht, wenn der Angeklagte nur durch einen eingeschränkten Personenkreis identifiziert werden könnte.
4. Der weite Schutz gegen das Anfertigen von Bildnissen ist im Wege der Abwägung der im Widerstreit liegenden Interessen begrenzt, wenn er mit anderen grundgesetzlichen geschützten Interessen kollidiert. Im Ergebnis ist die Anfertigung eines Bildnisses in dem Umfang zulässig, in dem es nach §§ 22, 23 KunstUrhG verbreitet werden darf.
5. Als relative Personen der Zeitgeschichte nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG kommen Angeklagte dann in Betracht, wenn die ihnen zur Last gelegte Tat über das täglich Wiederkehrende hinausgeht und einiges Aufsehen erregt hat. Ob und in welchem Umfang die Allgemeinheit ein das Persönlichkeitsinteresse überwiegendes Informationsinteresse hat, ist aufgrund einer wertenden Abwägung aller betroffenen Interessen und Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Zugunsten des betroffenen Angeklagten ist dabei zu berücksichtigen, dass er sich in einem Strafverfahren regelmäßig in einer für ihn ungewohnten und belastenden Situation befindet, weil er zur Anwesenheit verpflichtet ist und es gerade für ihn durch Bildveröffentlichungen durchaus zu Prangerwirkungen oder Beeinträchtigungen seines Anspruchs auf Vermutung der Unschuld sowie auch einer späteren Resozialisierung kommen kann.
6. Bei sog. Kleinkriminalität liegt ein Überwiegen des Informationsinteresses der Öffentlichkeit an einer Abbildung des Angeklagten eher fern.
7. Gegenüber einem rechtswidrigen Anfertigen von Bildnissen ist der Angeklagte zur Notwehr gemäß § 32 StGB berechtigt. Er muss sich nicht darauf beschränken, sein Gesicht zu verdecken, sondern darf die Verteidigung wählen, die den Angriff sofort und endgültig beendet.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 4, vom 14.10.2011 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg zurückverwiesen.
I.
Das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek hat den jetzt 60-jährigen, unbestraften Angeklagten am 07.02.2011 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,- Euro verurteilt. Die vom Angeklagten und der Staatsanwaltschaft eingelegten Berufungen hat das Landgericht mit Urteil vom 14.10.2011 verworfen. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Am 04.05.2010 sollte um 9.00 Uhr im Amtsgericht Hamburg-Wandsbek eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs einer Körperverletzung stattfinden. Es ging um einen Nachbarschaftsstreit, bei dem auch Hunde eine Rolle spielten. Das Verfahren stand auf der Presseliste der Staatsanwaltschaft, so dass auch ein Fotograf einer großen deutschen Boulevard-Zeitung, der später geschädigte Zeuge H. , anwesend war. Als der Angeklagte im Treppenhaus erschien, begann der Zeuge ihn zu fotografieren. Der Angeklagte war hierüber überrascht und erbost und forderte den Zeugen lautstark auf, sein Tun einzustellen. Der Zeuge H. reagierte hierauf nicht, sondern fotografierte den Angeklagten weiter. Auch die erneute lautstarke Aufforderung, das Fotografieren einzustellen, ignorierte der Zeuge und schlug dem Angeklagten vor, er möge sich doch ein Blatt Papier oder die mitgeführte Tasche vor das Gesicht halten. Der Angeklagte hielt sich stattdessen zunächst die Hand vor das Gesicht, ging dann, als der Zeuge weiter fotografierte, wütend auf ihn zu, holte mit dem rechten Arm aus und schlug mit bedingtem Körperverletzungsvorsatz mit der flachen Hand wuchtig gegen das Objektiv der Kamera, die der Zeuge gerade vor sein Gesicht hielt. Durch den Schlag wurde die Kamera in das Gesicht des Zeugen gedrückt. Der Zeuge taumelte etwas zurück und schubste den Angeklagten von sich weg. Er erlitt infolge des Schlages Schmerzen im Oberkiefer, Kopfschmerzen und ein Taubheitsgefühl im Bereich der Frontzähne, ferner eine gerötete Stelle auf dem Nasenrücken, die nicht behandelt werden musste. Die Kopfschmerzen waren am nächsten Tag verschwunden, die übrigen Schmerzen und das Taubheitsgefühl nach wenigen Tagen.
Am nächsten Tag erschien in der Zeitung ein Artikel über den Prozess, dem ein Bild des Angeklagten beigefügt war. Auf zivilrechtliche Intervention des Angeklagten verpflichtete sich der Verlag, keine Bilder des Angeklagten zu veröffentlichen. In dem damaligen Strafverfahren wurde der Angeklagte freigesprochen.
Das Landgericht hat eine gefährliche Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB angenommen, die nicht durch Notwehr gerechtfertigt gewesen sei. Das Fotografieren in einem öffentlichen Gerichtsgebäude anlässlich einer öffentlichen Hauptverhandlung auch gegen den erklärten Willen des Angeklagten stelle keinen rechtswidrigen, notwehrfähigen Angriff dar, der einen Schlag gegen die Kamera rechtfertige.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Angeklagten form- und fristgerecht erhobene Revision.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil des Landgerichts mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Berufungsstrafkammer des Landgerichts zu verweisen. Die Subsumtion des Landgerichts unter den objektiven Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung und die Verneinung einer Rechtfertigung seien nicht zu beanstanden. Es liege aber ein Erörterungsmangel vor, weil das Landgericht die Möglichkeit einer Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) nicht geprüft habe, obwohl hierzu wegen einer psychischen Erkrankung des Angeklagten, die zu dauernder Erwerbsunfähigkeit und zu eine Schwerbehinderung von 80% geführt habe, Anlass bestanden hätte.
II.
Die Revision des Angeklagten führt bereits mit der Sachrüge zur umfassenden Aufhebung des landgerichtlichen Urteils.
1. Die Feststellungen des Landgerichts tragen nicht den Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung. Die Urteilsgründe ergeben nicht, dass es sich bei der Kamera, die der Geschädigte in der Hand gehalten hat, um ein gefährliches Werkzeug des Angeklagten i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gehandelt hat.
Ein gefährliches Werkzeug ist ein Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen. Entscheidend ist dabei die Erheblichkeit der Verletzungen, die der Täter durch den Einsatz dieses Werkzeuges verursacht hat oder verursachen wollte (Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 224 Rn. 9 m.w.N.).
Zur objektiven Eignung der Kamera, erhebliche Verletzungen herbeizuführen, enthält das Urteil außer einer formelhaften Behauptung (UA 17) keine Feststellungen. Die tatsächlich eingetretenen Verletzungen durch den mit Wucht ausgeführten Schlag gegen die Kamera (UA 6) sind vergleichsweise gering und unterscheiden sich nicht durch Verletzungen, die auch durch einen Schlag mit der bloßen Hand in das Gesicht hätten herbeigeführt werden können.
Das Urteil enthält auch keine Feststellungen dazu, dass der Angeklagte mit dem Schlag gegen die Kamera erhebliche Verletzungen bewirken wollte. Das Landgericht führt im Rahmen der Beweiswürdigung im Gegenteil sogar aus, der Zeuge H. habe betont, dass der Angeklagte nach seiner Einschätzung in erster Linie das Fotografieren verhindern, nicht aber ihm Schmerzen zufügen wollte (UA 9).
2. Auf der Grundlage der Feststellungen ist der Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB erfüllt. Der nach § 230 StGB erforderliche Strafantrag liegt vor. Das Landgericht hat aber mit rechtsfehlerhafter Begründung eine Rechtfertigung des Angeklagten wegen Notwehr gemäß § 32 StGB verneint.
a) Das Landgericht geht davon aus, dass das Fotografieren des Angeklagten gegen dessen erklärten Willen keinen rechtswidrigen, notwehrfähigen Angriff darstellt. Das ist auf der Grundlage der – insoweit lückenhaften Feststellungen – rechtsfehlerhaft.
aa) Das Anfertigen von Bildern ohne Einverständnis des Betroffenen stellt keinen Eingriff in § 22 KunstUrhG dar, denn dieses Norm regelt ausdrücklich nur das Verbreiten oder öffentliche zur Schau stellen von Bildnissen. Das Herstellen eines Bildes stellt aber nach allgemeiner Ansicht der Rechtsprechung einen Eingriff in das sich aus Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG ergebene allgemeine Persönlichkeitsrecht (Recht am eigenen Bild) dar, weil bereits mit der Anfertigung des Bildes in das Selbstdarstellungsrecht des Betroffenen eingegriffen, das Bildnis in der konkreten Form der Kontrolle und Verfügungsgewalt des Abgebildeten entzogen wird (Dreier/Schulze, 2. Aufl. 2006, § 22 KunstUrhG Rn. 13 m.w.N.; Götting in: Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 22 KunstUrhG Rn. 5 und 35 m.w.N.; OLG Karlsruhe, NJW 1982, 123). Weitgehende Einigkeit in Rechtsprechung und Literatur besteht ferner darüber, dass dieser weite Schutz gegen das Anfertigen von Bildnissen im Wege der Abwägung der im Widerstreit liegenden Interessen begrenzt wird, wenn er mit anderen grundgesetzlichen geschützten Interessen kollidiert. Im Ergebnis ist die Anfertigung eines Bildnisses in dem Umfang zulässig, in dem es nach §§ 22, 23 KunstUrhG verbreitet werden darf (Dreier/Schulze, a.a.O. Rn. 14, OLG Karlsruhe, a.a.O.).
In Betracht kommt hier nur die Rechtfertigung der Verbreitung nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG. Nach dieser Norm ist die Verbreitung ohne Einwilligung des Betroffenen zulässig, wenn es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Es ist ferner anerkannt, dass neben absoluten Personen der Zeitgeschichte auch relative Personen der Zeitgeschichte, Personen, die das Informationsinteresse der Allgemeinheit nur für beschränkte Zeit und in beschränktem Umfang auf sich ziehen (Dreier/Schulze, a.a.O., § 23 KunstUrhG Rn. 8; Götting, a.a.O. § 23 KunstUrhG Rn. 31), die Verbreitung ihrer Bilder hinnehmen müssen. Ob und in welchem Umfang die Allgemeinheit ein das Persönlichkeitsinteresse überwiegendes Informationsinteresse hat, ist aufgrund einer wertenden Abwägung aller betroffenen Interessen und Umstände des Einzelfalls zu ermitteln.
Als relative Personen der Zeitgeschichte kommen Angeklagte dann in Betracht, wenn die Tat über das täglich Wiederkehrende hinausgeht und einiges Aufsehen erregt hat (Dreier/Schulze, a.a.O. Rn. 9 m.w.N.; vgl. Götting, a.a.O. § 23 KunstUrhG Rn. 34 m.w.N.). Zugunsten des betroffenen Angeklagten ist dabei zu berücksichtigen, dass er sich in einem Strafverfahren regelmäßig in einer für ihn ungewohnten und belastenden Situation befindet, weil er etwa zur Anwesenheit verpflichtet ist und es gerade für ihn durchaus zu möglichen Prangerwirkungen oder Beeinträchtigungen seines Anspruchs auf Vermutung der Unschuld sowie auch einer späteren Resozialisierung kommen kann (KG, Urt. v. 17.09.2010 Abs. 18 – juris; BVerfG NJW 2008, 977). Auf der anderen Seite ist das ebenfalls grundrechtlich geschützte Informationsinteresse der Allgemeinheit und die Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem grundlegenden Urteil vom 05.06.1973 (BVerfGE 35, 202-245 – Lebach-Urteil) dazu ausgeführt:
„Freilich gilt dieser Vorrang des Informationsinteresses nicht schrankenlos. Die zentrale verfassungsrechtliche Bedeutung des Persönlichkeitsrechts verlangt neben der Rücksicht auf den unantastbaren innersten Lebensbereich (vgl. BVerfGE 32, 373 (379) mit weiteren Nachweisen) die strikte Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit: Der Einbruch in die persönliche Sphäre darf nicht weiter gehen, als eine angemessene Befriedigung des Informationsinteresses dies erfordert, und die für den Täter entstehenden Nachteile müssen im rechten Verhältnis zur Schwere der Tat oder ihrer sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen. Danach ist eine Namensnennung, Abbildung oder sonstige Identifikation der Täter keineswegs immer zulässig. Dies wird in Fällen sog. kleiner Kriminalität oder bei Jugendlichen von den Kommunikationsorganen in der Praxis überwiegend beachtet.“
Das Kammergericht hat in seinem Urteil vom 17.09.2010 (a.a.O. Abs. 35 – Tod eines Jugendlichen nach Komatrinken) ausgeführt:
„Bei der Gewichtung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit ist der jeweilige Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens bedeutsam. Bei Strafverfahren ist insbesondere die Schwere der zur Anklage stehenden Straftat zu berücksichtigen, aber auch die öffentliche Aufmerksamkeit, die sie etwa aufgrund besonderer Umstände und Rahmenbedingungen, der beteiligten Personen, der Furcht vor Wiederholung solcher Straftaten oder auch wegen des Mitgefühls mit den Opfern und ihren Angehörigen gewonnen hat. Das Informationsinteresse wird regelmäßig umso stärker sein und in der Abwägung an Gewicht gewinnen, je mehr die Straftat sich von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt, etwa aufgrund der Art der Begehung oder der Besonderheit des Angriffsobjekts (vgl. BVerfGE 35, 202 <231>). Ein gewichtiges Informationsinteresse kann auch gegeben sein, wenn dem Angeklagten selbst keine herausragende zeitgeschichtliche Bedeutung zukommt, aber ein Informationsinteresse an dem Prozess als solchem, etwa wegen seines Aufsehen erregenden Gegenstands, besteht.“
bb) Nach diesen Kriterien sind die Ausführungen des Landgerichts zur Verneinung eines rechtswidrigen Angriffs auf den Angeklagten rechtsfehlerhaft.
Zutreffend geht das Landgericht – ohne dies ausdrücklich zu erörtern – allerdings davon aus, dass der Eingriff in das Recht am eigenen Bild nicht bereits deshalb entfällt, weil das später veröffentlichte Bild durch einen Balken vor der Augenpartie verfremdet werden könnte, denn es bleibt weiterhin das Bildnis des Angeklagten. Der Schutz des § 22 KunstUrhG gilt auch dann, wenn der Angeklagte nur durch einen eingeschränkten Personenkreis identifiziert werden könnte (vgl. Dreier/Schulze, a.a.O., § 22 KunstUrhG Rn. 3 und 4 m.w.N.; Götting, a.a.O., § 22 KunstUrhG Rn. 17, 18 m.w.N.).
Das Landgericht hat es aber versäumt, die einander gegenüberstehenden Rechtsgüter in der verfassungsrechtlich gebotenen Form gegeneinander abzuwägen.
Das Fotografieren des Angeklagten ist nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil die Staatsanwaltschaft das Verfahren auf die Presseliste gesetzt hat. Das Recht des Angeklagten am eigenen Bild entfällt auch nicht bereits deshalb, weil er in einem öffentlichen Gerichtsgebäude anlässlich einer öffentlichen Hauptverhandlung fotografiert wurde. Ebenso wenig reicht die pauschale Feststellung, die Öffentlichkeit habe Interesse an Informationen über Strafverfahren in Schrift und Bild. Wenn das Landgericht ausführt, es sei Ausdruck der Pressefreiheit zu entscheiden, ob Artikel bebildert werden oder nicht, der Angeklagte habe dies auch in einem Strafverfahren, das eher dem Bereich der Kleinkriminalität zuzurechnen sei, hinzunehmen, so macht dies deutlich, dass das Landgericht das grundrechtlich geschützte Recht des Angeklagten am eigenen Bild nicht ausreichend in seine Abwägung eingestellt hat.
b) Das Landgericht will mit der Formulierung, das Fotografieren sei im Übrigen „... zur Abwendung eines rechtswidrigen Angriffs in Gestalt des unzulässigen Herstellens von Lichtbildern auch unverhältnismäßig“ (UA19) die Rechtswidrigkeit offenbar hilfsweise auf eine Überschreitung der Grenzen der Notwehr stützen. Auch das ist rechtsfehlerhaft.
War das Fotografieren ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff, dann durfte der Angeklagte die Maßnahmen ergreifen, die geeignet, erforderlich und geboten waren, um den Angriff zu beenden.
Der Schlag gegen die Kamera ist grundsätzlich geeignet, ein rechtswidriges Fotografieren zu beenden. Die bisherigen Feststellungen ergeben auch nicht, dass dem Angeklagten ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden haben könnte. Der Angeklagte musste sich nicht darauf beschränken, sein Gesicht zu verdecken, denn der Angriff betraf die Abbildung seiner gesamten Person, nicht nur die seines Gesichts. Er durfte vielmehr die Verteidigung wählen, die den Angriff sofort und endgültig beendete. Die Feststellungen ergeben auch nicht, dass der zur Tatzeit 58-jährige Angeklagte in der Lage gewesen wäre, mit weniger Gewaltanwendung, etwa durch einfaches Wegnehmen der Kamera, den Angriff zu beenden. Eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter, wie sie das Landgericht offenbar mit der Bejahung der „Unverhältnismäßigkeit“ vornehmen will, findet bei § 32 StGB grundsätzlich nicht statt (Fischer, § 32 StGB Rn. 31 m.w.N.). Auch eine Einschränkung des Notwehrrechts unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Gebotenheit (dazu Fischer, a.a.O., Rn. 36ff) kommt nach den Feststellung ersichtlich nicht in Betracht.
III.
Nach alledem ist das Urteil des Landgerichts auf die Sachrüge aufzuheben. Der Senat kann die im Rahmen des § 32 StGB erforderliche Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter nicht selbst vornehmen, weil die Feststellungen des Landgerichts insoweit lückenhaft sind. Das Landgericht teilt nicht mit, was genau Gegenstand des seinerzeitigen Strafverfahrens gewesen ist und ob bzw. in welchem Umfang der damalige Vorwurf einer Körperverletzung im Rahmen eines Nachbarschaftsstreits bereits vor dem 04.05.2010 Gegenstand eines öffentlichen Interesses gewesen ist. Liegt – wie ausgeführt – ein öffentliche Interesse der Allgemeinheit an einem mit Bildern versehenen Bericht im Bereich der Kleinkriminalität eher fern, so kann der Senat dies anhand der vorstehenden lückenhaften Feststellungen auch nicht völlig ausschließen. So ist etwa denkbar, dass der Angeklagte sich in jener Angelegenheit zuvor selbst an die Presse gewandt hat und dann ein erhöhtes Interesse der Öffentlichkeit an seiner Person hinnehmen müsste. Für die Beurteilung des Gewichts des öffentlichen Informationsinteresses an einer Abbildung des Angeklagten auch gegen seinen Willen kann indiziell der Inhalt der später erfolgten Bildberichterstattung herangezogen werden. Auch insoweit fehlt es an den erforderlichen Feststellungen.
Der Senat hat davon abgesehen, die Feststellungen zum objektiven Geschehen bestehen zu lassen, weil sie möglicherweise von der fehlerhaft begründeten Bejahung der Rechtswidrigkeit geprägt sind.
IV.
Sollte die nun zur Verhandlung und Entscheidung berufene Kammer erneut zu einer Verneinung des § 32 StGB kommen, wird die Frage eines Irrtums des Angeklagten sorgfältig zu prüfen sein. Bei der Prüfung der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums wird zu berücksichtigen sein, dass der Angeklagte von der Situation möglicherweise überrascht worden war und keine Möglichkeit hatte, sich über die Rechtslage und die dazu erforderlichen Abwägungen der Rechtsgüter zuverlässigen Rechtsrat einzuholen. Den Rechtsrat des „Angreifers“, das Fotografieren zu dulden und sich einen Gegenstand vors Gesicht zu halten, musste er nicht ungeprüft akzeptieren. Darüber hinaus weist der Senat auf die Milderungsmöglichkeit des § 17 Satz 2 StGB hin.
Im Falle einer erneuten Verurteilung wird das Landgericht – gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe – § 21 StGB zu prüfen haben.
Rechtsanwalt Andreas Forsthoff
Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
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